Ein Interview mit Riehls Stadtteilhistoriker Joachim Brokmeier.
Riehl – ein kleiner, schöner Stadtteil im Norden Kölns, den man heute vor allem mit der Flora, dem Zoo oder der Seilbahn assoziiert. Als ich loszog, um den Stadtteil für meine Serie „Köln - 86 Veedel“ zu fotografieren, hatte ich keine Ahnung, auf was für einem spannenden Areal ich mich wirklich bewegte. Doch dann stieß ich bei einer Recherche auf Joachim Brokmeier. Es gibt wohl niemanden sonst, der über Riehl und seine Geschichte so viel zu berichten weiß. Seit über 30 Jahren beschäftigt er sich mit der Historie des Stadtteils und sammelt alte Ansichtskarten, die das Veedel in einer Zeit zeigen, als es noch „die Goldene Ecke von Köln“ genannt wurde und das größte Amüsierviertel der Stadt war. Über 1400 seltene Karten hat er mittlerweile in seiner Sammlung, die den Betrachter in eine faszinierende, längst vergessene Welt eintauchen lassen, an die in Riehl heute fast nichts mehr erinnert. Ich wollte mehr erfahren. Wir trafen uns in einem netten Café im Herzen Riehls und sprachen über das Veedel, über seltsame Völkerschauen, verbotene Tänze, ungewöhnliche Kirchennamen, den größten Freizeitpark Deutschlands und natürlich seine Sammlung. Schon bald stellte ich fest, dass es im Café still war und die anwesenden Gäste den Erzählungen von Herrn Brokmeier lauschten.
Herr Brokmeier, Sie sind absoluter Riehl-Experte. Warum ausgerechnet Riehl? Was verbindet Sie mit diesem Stadtteil?
Ich bin zwar nicht in Riehl geboren, bin hier aber ab 1945 aufgewachsen, habe eine Riehler Schule besucht, vierzig Jahre für die Riehler Heimstätten gearbeitet und habe bis 1991 hier auch gewohnt. Da es in Riehl aber keine Baugrundstücke gab, bin ich dann irgendwann ins Bergische Land gezogen. Mit der Geschichte von Riehl begann ich mich ab 1984 zu befassen. Es begann alles mit einer simplen alten Postkarte von einem Riehler Motiv. Heute habe ich ordnerweise Material, das man für die Archivarbeit braucht.
Was ist an Riehl so besonders?
Riehl ist ein kleiner Stadtteil von Köln mit 11.000 Einwohnern, hat aber seine Reize. Im Gegensatz zu manch anderen Stadtteilen, gibt es hier noch eine intakte Einkaufszone. Es gibt wunderschöne Grünanlagen - nicht nur den Zoo und die Flora, sondern auch die Rheinaue. Die Wohnsituation ist hier sehr interessant: Auf der einen Seite findet man normale Wohngebiete wie das Naumann-Viertel, auf der anderen Seite edle Wohngegenden, wie das Villenviertel um den Botanischen Garten, das in den 20er Jahren für die englischen Besatzungstruppen und ihre Familien gebaut wurde.
Gibt es eine besondere Erinnerung, die Sie mit Riehl verbindet?
Seit 1951 gibt es hier in der Stammheimerstrasse ein kleines italienisches Eiscafe, das trotz wechselnder Besitzer, heute noch an Ort und Stelle steht. Die Eisdiele lag auf dem Weg von der Schule nach Hause und wenn es dann mal Taschengeld gegeben hatte, konnte man sich dort „für nen Groschen e Bällche Ies“ kaufen.
Das Veedel hat eine unglaublich spannende Geschichte. Nach einer langen Zeit, in der Riehl sehr ländlich geprägt war, entwickelte es sich im 19. Jahrhundert zum größten Militärstandort und gleichzeitig zum größten Amüsierviertel Kölns. Wie kam es zu diesem Gegensatz?
Kein Gegensatz, sondern parallel verlaufende Entwicklungen. Zunächst muss man aber sagen, dass Riehl mit die älteste Geschichte aller Kölner Vororte hat, die auf das Jahr 972 zurückgeht. Damals lag Riehl aber nicht da, wo man es heute vermutet, sondern an der Frohngasse, in etwa dort, wo heute die Seilbahn ist. Der Ort wurde immer wieder durch Hochwasser zerstört, sodass er sich nie richtig entwickeln konnte. Als dann 1847 das Fort XI errichtet wurde, 1860 der Zoo und 1864 die Flora entstanden, war für das alte Riehl kein Platz mehr. Man beschloss, es 1000 m weiter nördlich in Höhe der heutigen Stammheimerstraße zu verlegen. Hier ist der neue Kern von Riehl entstanden.
Dann hat es zwei interessante Parallelentwicklungen gegeben. Auf der einen Seite die militärische Entwicklung. Bereits die Franzosen haben zur Zeit der Besetzung ab 1795 auf der Mülheimer Heide (das Gebiet zwischen Boltensternstraße und Rhein) Militärübungen abgehalten. Ab 1818 wurde es auch durch die Preußen genutzt. Da war es naheliegend, in der Nähe der Übungsplätze Kasernen zu errichten. So entstanden die Kasernen Barbarastrasse und Boltensternstrasse. Insgesamt waren 1910 in Riehl etwa 3500 Soldaten stationiert. Das war eine ganze Menge, wenn man berücksichtigt, dass es in Riehl nur 1500 Zivilbewohner gab.
Die andere Entwicklung ist die des Amüsierviertels. Als 1850 in Köln der Hauptbahnhof gebaut wurde, musste der Botanische Garten, der damals in dem Gebiet lag, abgebrochen werden. Köln platzte aus allen Nähten, für einen neuen Botanischen Garten war in der Stadt kein Platz mehr. Dann erinnerte man sich daran, dass man in Riehl einige Jahre zuvor den Zoo errichtet hatte und war überzeugt, dass es auch ein prima Gelände für den botanischen Garten sei. Mittlerweile waren hier also der Zoo, die Flora und die Radrennbahn, die 1889 hinzukam - drei hochattraktive Orte. Radrennen hatten damals eine ähnliche Bedeutung wie heute die Formel1-Rennen - Massen strömten am Wochenende nach Riehl, um die Rennen mitzuerleben. Das rief natürlich die Wirte auf den Plan, sodass allein in diesem kleinen Bereich 30 Gastronomien eröffnet wurden. Man kann sich vorstellen, dass bei 30 Gastronomien eine Menge Geld floss und dadurch hohe Steuermittel entstanden sind. Das führte dazu, dass man bald von „der Goldenen Ecke von Köln“ sprach. 1909 kam mit dem Amerikanischen Vergnügungspark (später „Luna Park“) noch eine weitere Attraktion hinzu.
Wie kam es dazu, dass dort ein Vergnügungspark gebaut wurde?
Da gab es eine Gaststätte, die „Hohenzollerngarten“ hieß. Der Besitzer hatte hinter dem Haus einen riesigen Garten, ein ungenutztes Gelände. Als Attraktion für seine Gäste hat er dort eine große Rutschbahn errichten lassen. So war die Idee eines Vergnügungsviertels geboren. Ein Amerikaner hatte diese Idee dann aufgegriffen und eine Gebirgsbahn bauen lassen. Er war auch namensgebend für den Park gewesen, denn der erste Name war „Amerikanischer Vergnügungspark“. Neben der Gebirgsbahn wurden dort auch noch viele andere Dinge angeboten, wie zum Beispiel ein Hippodrom, ein Lachhaus (heute würde man Spiegelkabinett sagen), Wurfbuden oder ein sogenanntes Freudenrad, das die Riehler auch als „Kotzkümpchen“ bezeichnet haben. Aber nicht nur die üblichen Schaustellergewerbe waren vor Ort. In dieser Zeit wurden auch Völkerschauen gezeigt, bei denen fremdländische Völker, aber auch kleinwüchsige Personen zur Schau gestellt wurden. Es gab dort sogar eine „Opiumhöhle“. Außerdem gab es sehr viele Bewirtungsangebote, wie zum Beispiel die „Münchener Bierhalle“, das „Kölsche Bierhaus“, das „Haus am See“ oder die „Holländische Liquerstube“. Dann gab es einen Tanzpalast. Dies war ein teures Vergnügen - der Tanzmeister kassierte pro Tanz einen Groschen. Wenn man berücksichtigt, dass die Soldaten täglich einen Sold von 22 Pfennig hatten, war das natürlich verdammt viel Geld. Ganz wichtig dabei war allerdings - „Schiebertänze“ (heute Tango genannt) waren verboten! Mit einem großen Plakat wurde auf das Verbot hingewiesen.
Warum waren die „Schiebertänze“ verboten?
Das galt damals als unanständig, denn man war dann zu nah auf Tuchfühlung (lacht).
Was war das sogenannte „Kotzkümpchen“?
Das war eine große, runde Platte gewesen, die sich drehte. Die Leute standen an einer Brüstung am Rand und versuchten, über die Mitte zu jemand anderem zu gelangen. Natürlich kam man dann sehr oft ins Schleudern und rutschte ab. Durch die Drehbewegungen wurde einem kotzübel.
Was kann man sich unter den Völkerschauen vorstellen und was war die „Liliputstadt“?
Diese Völkerschauen entsprachen dem damaligen Zeitgeist. Durch die Kolonialzeit kamen die Deutschen (und auch andere Länder) erstmals mit fremden Kulturen in Berührung. Es gab noch keinen Film und kein Fernsehen, wo man hätte zeigen können, wie Menschen in anderen Kulturen lebten. Also hat man diese fremden Völker hierhin gebracht und ihnen ihre kleinen Dörfer aufgebaut, damit man sich daran „ergötzen“ konnte. So wurde 1900 zum Beispiel am Zoo die Aschanti-Schau gezeigt, zu der allein an einem Wochenende 15.000 Besucher kamen. Grauenhaft! Aber es wurden nicht nur fremdländische Völker gezeigt, sondern generell alles was abweichend war - zum Beispiel die behaarteste Frau, der dickste Mann und eben auch die Kleinwüchsigen, damals „Liliputaner“ genannt, für die ein ganzes Dorf aufgebaut wurde. Sie hatten einen eigenen Bürgermeister, ein eigenes Postamt, einen eigenen Bauernhof, veranstalteten eigene Boxkämpfe etc.
Eine weitere beliebte Attraktion war das Panoptikum. Was war das genau?
Das Panoptikum könnte man mit dem heutigen Wachsfigurenkabinett vergleichen. Dort wurden außergewöhnliche Dinge sowie Menschen aus Wachs ausgestellt. Mitte der 20er Jahre wurde dort auch eine Wachsfigur von Fritz Haarmann (der mit dem Hackebeilchen) ausgestellt. [Friedrich „Fritz“ Haarmann, auch „Der Vampir“, „Der Schlächter“, „Der Kannibale“ und „Der Werwolf“ genannt. Wegen Mordes an 24 jungen Männern 1925 zum Tode verurteilt]. Die Leute sollten sich grausen, während sie sich solch böse Menschen anschauten. Das Panoptikum ist aber nicht lange in Riehl geblieben. Um 1900 wurde es auf die Hohestraße verlegt und hat dort eine Zeit lang weiter existiert.
Sie erwähnten, dass die Radrennbahn eine große Faszination auslöste. Können Sie darüber ein bisschen mehr erzählen?
Die Bahn war etwa 400 m lang und ist eine Steilwandbahn gewesen. Das heißt, dass man "Steherrennen" veranstalten konnte, bei denen ein Motorrad vorne wegfuhr und im Windschatten der Radfahrer hinterher folgte. Damit er nicht fiel, war an dem Motorrad hinten eine Rolle angebracht, die sich mitdrehte. So konnte man mit sehr hoher Geschwindigkeit fahren.
Dann gab es auch die „Fliegerrennen“, ganz normale Radrennen ohne Motorrad davor. Die Bahn wurde ein paar Mal umgebaut und modernisiert und hat nicht nur nationale, sondern auch internationale Rennen erlebt, mit den größten Radrennfahrern dieser Zeit.
Der Anfang vom Ende war, als Adenauer das Müngersdorfer Stadion bauen ließ. Dort entstand auch eine neue Radrennbahn, die moderner war. Das hatte zur Folge, dass die Bahn in Riehl an Bedeutung verlor. Eine Zeit lang versuchte man dort noch Auto- und Motorradrennen zu veranstalten, aber die Attraktivität war weg. Im Jahr 1955 hat man das Gelände endgültig aufgegeben und dem Zoo übergeben, der dort eine sehr große Anlage mit einem Weiher anlegte. Heute befinden sich an dieser Stelle der Elefantenpark und das Tropenhaus.
"Radrennen hatten damals eine ähnliche Bedeutung wie heute die Formel1-Rennen"
Wie und warum ging es mit der Goldenen Ecke zu Ende?
Es gab verschiedene Gründe. Erstens: Ende der 20er Jahre herrschte die große Weltwirtschaftskrise - es gab viele Arbeitslose, das Geld saß nicht mehr so locker, die Besucher blieben aus. Zweitens: Wegen der Rayonbestimmungen waren die Häuser alle aus Holz gebaut, was eine erhöhte Brandgefahr darstellte. Es hatte immer wieder Brände gegeben und so war die Feuerwehr ganz scharf darauf alles abzureißen. Ein weiterer Punkt war, dass in Deutz im Zusammenhang mit der Pressa ein neuer Vergnügungspark errichtet wurde, der sehr modern und viel attraktiver war. Der Hauptgrund war aber letztendlich folgender: Adenauer wollte, dass der Grüngürtel bis zum Rhein verlängert wird. Die Schaubuden und die Gastronomie störten da nur und mussten dann alle abgebrochen werden. Bis auf eine - „Wattlers Fischerhaus“, das heute unter dem Namen „Richters“ weiter existiert und sich direkt neben der Zoobrücke befindet. Sie ist zwar nicht in der ursprünglichen Form erhalten geblieben, aber es ist die einzige Gaststätte, die überlebt hat und eine Tradition hat, die auf das Jahr 1830 zurückgeht.
In den 70er Jahren entstand in Riehl der größte Vergnügungspark Deutschlands - der Tivoli Park. Was ist daraus geworden?
In Erinnerung an die große Zeit mit dem Luna Park, wollte man in Riehl nochmal einen Vergnügungspark errichten. Das bot sich 1971 an, als in Köln die Bundesgartenschau veranstaltet wurde. Es war aber völlig dezentral gelegen, die Eintrittspreise waren sehr hoch. 1975 war der Betreiber pleite und der Park wurde aufgelöst. Einige Buden und Fahrgeschäfte aus dem Tivoli Park stehen aber heute noch in anderen Parks.
Was ist heute ihr Geheimtipp für Riehl?
Ein Geheimtipp ist sicherlich die „Kunst in der Unterkirche“ im Sankt Engelbert, in der regelmäßig Riehler Künstler ausstellen. Interessant ist auch das Geschäft „Tonibunt“, in dem Bewohner des Behindertenzentrum und der pädagogischen Werkstatt ihre Werke zum Verkauf anbieten. Und sicherlich auch der REWE-Markt, in dem alte Ansichten von Riehl ausgestellt sind.
Eine absolute Sehenswürdigkeit in Riehl ist bis heute die Kirche Sankt Engelbert, die als erster moderner Kirchenbau Kölns gilt und vom großartigen Dominikus Böhm erbaut wurde. Ihre Bauweise war zunächst aber mehr als umstritten. Wie ist ihre Geschichte und was hat die Kirche mit dem kölschen Begriff „fringsen“ zu tun?
Da die alte Sankt Engelbertkirche am Riehler Plätzchen zu klein wurde, musste man eine neue bauen. Dafür beauftragte man Herrn Böhm [Dominikus Böhm, 1880-1955] als Architekten. Er legte einen Plan vor, der die Kirche als einen Zentralbau vorsah. Das war etwas völlig neues gewesen. Im Bistum Köln gab es damals die Regelung, dass nur neuromanische oder neugotische Kirchen gebaut werden durften, aber in diesem Fall beschloss man, den ersten Zentralbau zu errichten. Die Riehler fanden sehr schnell einen Begriff für den Bau, nämlich „Zitronenpresse“. Wenn man die Kirche von oben sieht, erinnert sie ein bisschen daran. Ein weiteres Novum war der separat stehende Kampanile [Glockenturm]. Die Kirche wurde im 2. Weltkrieg stark beschädigt. Zu Silvester 1946 konnte Kardinal Frings dort aber bereits wieder eine Predigt halten. Diese Predigt hatte einen ganz markanten Satz: „Wir leben in Zeiten, da in der Not auch der Einzelne das wird nehmen dürfen, was er zur Erhaltung seines Lebens und seiner Gesundheit notwendig hat, wenn er es auf andere Weise, durch seine Arbeit oder durch Bitten nicht erlangen kann.“ Die Kölner sind mit diesem Satz sehr großzügig umgegangen und haben daraus den Begriff „fringsen“ gemacht, wenn sie die Beschaffung lebensnotwendiger Dinge meinten, oder eben auch das „Klütten Klauen“ [Kohle stehlen]. So hat sich der Begriff „fringsen“ festgesetzt.
Kommen wir zu Ihrer faszinierenden Sammlung. Wie entstand die Idee Ansichtskarten von Riehl zu sammeln?
1984 bekam ich eine alte Ansichtskarte von Riehl zu sehen. Es handelte sich um eine Straßenansicht der Hittorfstraße. Die Häuser waren nach 70 Jahren kaum verändert wiederzuerkennen. Das war der Impuls sich weiter mit dem Thema zu beschäftigen und zu schauen, ob nicht auch andere Bereiche von Riehl für einen Vergleich zwischen neu und alt interessant wären. Mittlerweile habe ich von diesem kleinen Stadtteil 1400 alte und auch ein paar neuere Ansichtskarten.
Wo bekommen Sie die Karten her?
Die meisten Karten bekomme ich über Ebay und über die Kontakte, die man mittlerweile aufgebaut hat. Es ist kein billiges Hobby - die Karten liegen im Preis zwischen 3 und 90 Euro. Da kommen schon ein paar höhere Beträge zusammen.
Werden heute eigentlich noch Karten von Riehl herausgebracht?
Nachkriegskarten gibt es so gut wie keine mehr. Das ist ein Medium, das ausgelaufen ist, da legt heute keiner mehr Wert drauf.
Der Schweizer Milchbauer Dopplé vor seiner "Milch-Kur-Anstalt". Den Stadtteil Riehl benannte er für seine Postkarte in "Köln-Appenzell" um. (© Sammlung Brokmeier)
Gibt es eine Karte, die sie besonders mögen?
Es gibt eine Karte, die mich besonders anspricht. Um 1900 gab es sogenannte „Milch-Kur-Anstalten“. Man kann sich heute unter dem Begriff nichts mehr vorstellen, aber im Grunde waren das Milchbars. Der Schweizer Milchbauer Dopplé hat hier in Riehl zwei Niederlassungen gehabt. Besonders wichtig war es Dopplé zu zeigen, dass er Schweizer ist und so liefen er und seine Mitarbeiter immer in älpler Tracht herum. Da ihm das aber nicht ausreichte und er dokumentieren wollte, wie typisch schweizerisch das Ganze wäre, benannte er Riehl gleichzeitig auch noch in „Köln-Appenzell“ um.
Viele Karten sind beschrieben. Gibt es da eine besondere Anekdote?
Sehr viele sind beschrieben. Eine witzige Anmerkung habe ich auf einer Karte aus dem Jahr 1915 gefunden. Ein sehr frustrierter Soldat schrieb auf eine Karte: “Wann nimmt das endlich ein Ende.“ Aber an sich sind die Texte oft schwer zu entziffern, zum einen wegen der Sütterlinschrift, zum anderen aufgrund der Sauklaue der Verfasser.
Ich bin Fotograf. Heute sind Fotos allgegenwärtig. Sie sammeln alte Fotografien in Form von Ansichtskarten. Was bedeutet Fotografie Ihnen persönlich und wie nehmen Sie dieses Medium wahr?
Fotografien anschauen finde ich ganz hervorragend und ist für mich eine sehr fesselnde Beschäftigung. Aber selbst fotografieren ist für mich kein Thema. Ich kann es nicht, mir fehlt da das Gefühl für - entweder fehlen mir auf den Bildern Köpfe oder Füße. Das überlasse ich meiner Frau. Fotografie als solches empfinde ich aber als ein unheimlich interessantes Medium. Das sage ich auch aus der Perspektive des Heimatforschers. Man kann viele Dinge beschreiben, aber wenn ich ein Foto in der Hand habe, vor allem wenn es beschriftet ist, dann kann ich noch in 100 Jahren genau sagen, was da für eine Ecke abgebildet ist oder wer die Person auf dem Bild ist. Deshalb ist für mich die Beschriftung einer Fotografie ein wesentlicher Punkt. Dann kann man einen Vergleich machen, die alte Fotografie einem neuen Motiv gegenüberstellen. Heute wird alles mit dem Handy aufgenommen und drei Tage später wird alles gelöscht. Diese Bilder sind für ewig verloren und in 50 Jahren kennt sie keiner mehr. Das ist genau das, was so schade ist. Aus diesem Grund habe ich leider sehr wenige Fotografien in meiner Sammlung. Sie werden oft von Angehörigen eines Verstorbenen vernichtet oder weggeworfen, weil man sie oft nicht zuordnen konnte. Außer man sieht den Dom drauf, den kennt natürlich jeder.
Köln hat 86 Stadtteile. Gibt es noch andere Veedel, die Sie schätzen?
Besonders schön finde ich den Stadtteil Stammheim, insbesondere seinen alten Schlosspark mit den wunderschönen alten Baumbeständen. Dort findet man die ältesten Bäume Kölns. Der Park geht bis zum Rhein runter, sodass man dort wunderbar entlang laufen kann - wunderschön!
Gibt es etwas was Sie an Köln nicht mögen und verändern würden, wenn Sie die Möglichkeit dazu hätten?
Es gibt ein Thema das sehr spezifisch ist und speziell mich betrifft. Und zwar, dass in Köln relativ wenig für Stadtteilhistoriker getan wird und es keine Kommunikationsebene für sie gibt. Insofern fehlt ein Austausch derjeniger, die sich mit der Stadtgeschichte befassen. Ein Stadtmuseum kann eben nicht alles auffangen.
Was ist für sie typisch kölsch und was gefällt ihnen an Köln besonders?
Ich finde die Lebensart sehr schön. Man kann in eine Gaststätte gehen und kommt relativ schnell in Kontakt. Was mich an Köln sehr interessiert sind die vielen alten Gebäude, die im Krieg zerstört wurden, aber auch sehr schön wieder aufgebaut worden sind, wie die Romanischen Kirchen.
Sie haben drei Bücher herausgegeben. Worum handeln sie genau?
Das Erste handelt von der neueren Ortsgeschichte Riehls. Das Zweite befasste sich speziell mit dem Bereich Goldene Ecke. Das dritte Buch ist für mich persönlich das Schönste. Es ist eine Art Heimatkalender geworden. Ich habe bestimmte Daten der Riehler Geschichte genommen, sie erläutert und Geschichten dazu erzählt. Da kann man reinschauen und erfahren, was an einem bestimmten Tag, in einem bestimmten Monat in Riehl passiert ist. In allen drei Büchern sind Ansichtskarten aus meiner Sammlung zu sehen.
Das Interview mit Joachim Brokmeier ist Teil meines Projektes "Köln - 86 Veedel" und in verkürzter Form auch in meinem Buch "Vollkommen. Köln. 86 Veedel" zu finden. Mehr dazu - HIER.
Links:
Mehr zu Joachim Brokmeier und seiner Postkartensammlung von Riehl findet ihr - hier.
Links: Bar des Transit-Hotels, das den belgischen Streitkräften vorbehalten war (1955); Rechts: Café Bade. (© Sammlung Brokmeier)
Links: Soldaten des Infanterie-Regiments 65 aus der Kaserne Boltensternstr; Rechts: Soldaten der Feldartillerie Nr. 59 aus der Kaserne Barbarastraße im Jahr 1913. (© Sammlung Brokmeier)
Die letzte Pferdebahn, die den Zoologischen Garten mit Nippes verband und am 22.5.1907 ihren Betrieb einstellte. Ab dann übernahm die elektrische Straßenbahn den Fahrdienst. (© Sammlung Brokmeier)
Die Mülheimerbrücke und ihr Vorläufer die Schiffbrücke. (links: © Daniel Zakharov, rechts: © Sammlung Brokmeier)
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