08. August 2017
Das Berliner „Freehome“, initiiert von meinen Eltern Vadim Zakharov und Maria Porudominskaja, platzte aus allen Nähten. Zu Ehren von Marcel Duchamp und Marcel Broodthaers eröffnete die Ausstellung „MBhalf - fullMD“, die von Pierre Granoux und Michal B. Ron kuratiert wurde.
Der auf den ersten Blick seltsame Name der Ausstellung lässt sich leicht aufschlüsseln - die Ausstellung eröffnete am 28. Juli, dem Geburtstag von Marcel Duchamp („fullMD“) und somit genau ein halbes Jahr vor dem Ehrentag Marcel Broodthaers („MBhalf“), der auf den 28. Januar fällt.
Neben drei Originalen von Marcel Duchamp (von „fontaine b“ und „Archives Acquaviva“ für die Ausstellung zur Verfügung gestellt), wurden Werke von 35 Künstlern präsentiert, die einen Bezug zum Schaffen der beiden Künstlerikonen haben. Die Ausstellung war toll kuratiert, da sie es schaffte aus einer Vielzahl von völlig unterschiedlichen Arbeiten, die ganz unterschiedlichen Kunstströmungen zuzuordnen sind, eine homogene Einheit zu bilden. Und noch etwas anderes gefiel mir: Das heute so typisch „schnelle“ Konsumieren im Vorbeigehen funktionierte hier nicht. Man musste sich Zeit nehmen und sich mit den Werken auseinandersetzen, denn erst dann erschloss sich oft die Idee hinter der Arbeit.
So zum Beispiel bei Marie von Heyls „L.M.F.A.O.“ (die Buchstabenkombination ist eine bekannte Abkürzung im Internet-Slang, die für „Laughing my fucking ass off“ steht) - ein Monitor, auf dem in Großansicht das Gesicht der Mona Lisa zu sehen ist, geschmückt mit einem großen Schnäuzer. Man starrt auf den Monitor und ist nach kurzer Zeit gewillt zur nächsten Arbeit zu wandern. Doch erst wann man sich einige Minuten Zeit lässt und vor der Arbeit verweilt, erlebt man eine Überraschung - der Schnäuzer entpuppt sich als eine große Raupe, die sich irgendwann in Bewegung setzt, aus dem Bild läuft und gleichzeitig dem Betrachter unweigerlich ein breites Lächeln entlockt. Das Werk ist eine Anspielung auf Marcel Duchamps bekanntes Ready-made „L.H.O.O.Q.“ (ein Wortspiel - im Franz. buchstabiert als „èl ache o o qu“, kann es auch schnell als „Elle a chaud au cul“ / „Sie hat einen schönen Hintern“ ausgesprochen werden), bei der der Künstler einer Reproduktion der Mona Lisa, einen Schurr- und Kinnbart dazu malte.
Einige Werke spielten natürlich auch auf das wohl bekannteste Ready-made Duchamps an - das als „Fountain“ 1917 in New York ausgestellte Urinal. Besonders spannend fand ich dabei die Arbeit „52% Abstraktion“ von Moritz Frei, die einen Urinalsieb in einem Bilderrahmen zeigt. Der Witz dabei ist (und das wurde mir erst später klar), dass nur die Männer direkt verstehen, was für ein Gegenstand dort eingerahmt ist. Was für das männliche Auge gewöhnlich ist, erweist sich für das weibliche Geschlecht als ein nicht identifizierbares Objekt, das die unterschiedlichsten Interpretationen hervorruft.
Eine auf den ersten Blick unscheinbare Arbeit ist auch "MD" von Aurélie Noury. Zwei gewöhnliche A4-Blätter, auf denen jeweils eine mit Bleistift gezeichnete Signatur „Marcel Duchamp“ zu sehen ist. Da die Handschrift auf den beiden Blättern stark voneinander abweicht, wird einem schnell klar, dass es sich dabei nicht um die Originalunterschrift des großen Künstlers handeln kann. Was soll das Ganze dann, fragt man sich zunächst. Die Geschichte dahinter ist amüsant. Mehrere Jahre verbrachte der Künstler Aurélie Noury damit, aus zahlreichen Telefonbüchern die Telefonnummer der vielen in Frankreich lebenden Marcel Duchamps herauszuschreiben, um sie anschließend anzurufen und nach einer Unterschrift für sein Kunstwerk zu bitten. Rausgekommen ist eine ganze Sammlung an unterschiedlich signierten A4-Blättern, von denen zwei im „Freehome“ ausgestellt wurden.
Diese und viele andere interessante Hintergrundgeschichten zu den ausgestellten Werken, konnte man zwei Tage nach der Eröffnung von den Kuratoren Pierre Granoux und Michal B. Ron, sowie dem Gastgeber Vadim Zakharov erfahren, die zu einer Führung durch die Ausstellung eingeladen hatten.
Parallel gab es auch eine Reihe von Vorträgen und Performances, die sich mit der Thematik beschäftigten. Der Andrang und das Interesse waren vor allem bei der Eröffnung riesig. So voll wie an diesem Abend hatte ich das „Freehome“ noch nicht erlebt, was der positiven, einladenden und inspirierenden Atmosphäre des Ortes aber keinen Abbruch tat. Wie auch schon bei den letzten Ausstellungen, waren auch diesmal viele interessante und spannende Leute aus den unterschiedlichsten Bereichen zugegen, die die Gelegenheit nutzten sich bei einem Glas Wein, einem Wasser oder den speziell zubereiteten belgischen Pommes, untereinander auszutauschen.
Natürlich dokumentierte ich die Ausstellung auch dieses Mal mit meiner Kamera. Hier eine kleine Dokumentation.
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KÜNSTLER: Saâdane Afif, Yuri Albert, Ioana Alexe, Jofroi Amaral, Anonym, Michael Behn, Patxi Bergé, Daniel Bozhkov, Andreas Burger, Marcel Duchamp, Marcel Dzama, Moritz Frei, Franck David, Roland Fuhrmann, Pierre Granoux, Frank Hesse, Klaus Killisch, Alexei Kostroma, Antoine Lefebvre, Daniel Malone, Mathieu Mercier, Andrei Monastyrski, Bruno Nagel, Aurélie Noury, Man Ray, Yusuke Suga, Marie von Heyl, Yuri Leiderman, Julian Wasser, Vadim Zakharov
VORTRÄGE & PERFORMANCES VON:
An Paenhuysen und Wolfgang Müller - about “The Hyperinterpetation von Marcel Duchamps Grosses Glas durch Bruno Hoffmann im Westberliner Funkradio”, 1984
Hannah Bruckmüller - "To be a straight thinker or not to be. Learning to count with Marcel Broodthaers"
Angel Vergara - “La chambre blanche”, 1988; Friture, 1987
Daniel Bozhkov - “The Conflict between Good and Better”, dedicated to Marcel Broodthaers, 2017
Serge Stephan und Michal B. Ron - “Charleroi Nails and Nails Poetry”. With special guest Anne-Claire Gambet
KURATOREN: Pierre Granoux & Michal B. Ron
FREEHOME - by Maria Porudominskaja & Vadim Zakharov
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