Ein Interview mit dem Künstler Jan Glisman.
Letztes Jahr beschloss ich, meine Serie „Köln - 86 Veedel“ durch eine Interviewreihe zu ergänzen, bei der ich interessante Persönlichkeiten aus Köln vorstelle. Schnell war mir klar, dass ich auch Jan Glisman interviewen möchte. Jan ist Künstler und gebürtiger Kölner. Er arbeitet mit natürlichen Materialien wie Ton, Gestein oder Gas, nutzt für die Entstehung seiner Werke des Öfteren die Schwerkraft und lässt seine Skulpturen immer wieder bei spektakulären Performances entstehen. 2013 sorgte er in Köln medial für Aufmerksamkeit, als er im Rheinauhafen bei der Performance „Trumpets of Jericho“ eine 2,5 Tonnen schwere, weiche Tonröhre aus 25 Metern Höhe abstürzen ließ, um auf diese Weise seine Skulptur zu kreieren. Im Bunker 101 ließ er über mehrere Wochen in Etappen immense, frei schwebende Steinblöcke wegsprengen und im Vorgebirgspark ein Zelt schweben. Mich hat es immer fasziniert, wie akribisch und detailbesessen er seine Aktionen vorbereitet, wie sehr er sein Handwerk beherrscht und wie interdisziplinär er arbeitet, indem er auch Video, Fotografie und Klang für seine Arbeit nutzt. Wenn man mit Jan spricht, spürt man, dass hinter seinem Werk eine eigene Philosophie, eine tiefgehende Idee steht. Um mehr über ihn, seine Arbeit und seinen Bezug zu Köln zu erfahren, trafen wir uns zu einem Gespräch in seinem Atelier in Mülheim.
Was war deine erste Berührung mit Kunst?
Bei der Einschulung gab es zunächst das Problem, dass ich nicht in die Schule wollte. Meine Eltern mussten mich wieder von der Schule nehmen und in eine Art Vorschule stecken. Dort bekam jedes Kind eine spezielle Beschäftigung, damit es sich individuell entwickeln konnte. Ein Jahr lang durfte ich dort hauptsächlich malen und wurde dabei betreut. Meiner Meinung nach, wurde hier das Fundament für eine autonome Arbeitsweise gelegt, von der ich später als freischaffender Künstler profitierte.
Wann wurde dir bewusst, dass du den künstlerischen Weg gehen möchtest?
Der künstlerische Weg war ein Prozess, der nicht von einem Moment auf den anderen passiert ist, sondern viele Jahre gedauert hat. Als Jugendlicher habe ich gerne Iron Maiden Postkarten abgezeichnet, auf denen Figuren abgebildet waren, die mich fasziniert haben - „Eddie“, ein Mensch, der keine Haut mehr hat und nur aus blutenden Muskeln besteht, zerfetzte Leichen und vor allem der Tod, der von innen hohl war und wie ein Tuch im Nichts schwebte. Diese Motive habe ich ganz präzise abgezeichnet. Meine Eltern haben die Zeichnungen gefunden und ich konnte einige Male beobachten, wie sie sich diese mit einer gewissen Faszination, aber auch mit einem gewissen Unbehagen anschauten. So bemerkte ich meine Fähigkeiten, in anderen Menschen etwas auszulösen. Später begann ich an der Akademie in Maastricht Kunst zu studieren.
Du arbeitest heute viel mit Keramik. Wie hast du dieses Material für dich entdeckt?
Als ich angefangen habe, zu studieren, gehörte dazu auch der Tonunterricht. Wir sollten uns Tonblöcke zum Arbeiten kaufen, was mich aber nicht besonders reizte. Mich interessierten die großen Regale im Keller, in denen die Tonabfälle lagen. Das waren 2-3 Tonnen Material. Ich trocknete den Ton, zerschlug ihn zu Klumpen und legte ihn dann in Wasser ein. Dann wurde der Schlamm in einer Maschine gemischt und durch verschiedenen Zutaten und Arbeitsabläufe wieder aufbereitet. Diesen ganzen Prozess - den Ton zu zerschlagen, das Geräusch dabei zu hören, ihn zu lagern, den Dreck zu sehen, die Maschine, die ständig kaputt war und repariert werden musste, zu bedienen – fand ich sehr spannend. Das hatte schon diese performativen Züge, die meine Arbeit später angenommen hat. Ich begann mit dem zu arbeiten, was vor meinen Füßen lag - mit dem Abfall der anderen. Das ist das Naheliegendste, was ein Student machen kann.
Die Materialien, mit denen du arbeitest, kommen oft aus der Natur. Welche Verbindung hast du zur Natur?
Heute gibt es Festplatten, auf denen du deine Daten speicherst. Die Natur macht das ähnlich: Sie schreibt ihre Erinnerung und ihre Informationen aber in Materialien hinein, in molekulare Strukturen. Das heißt, ein natürliches Material ist aufgeladen mit Energie. Grundstoffe dafür sind Elemente wie Wasserstoff oder Helium, die in der Lage sind, ihre Aggregatzustände zu wechseln oder sich auch mit anderen Elementen zu molekularen Strukturen zu verbinden. Daraus entwickeln sich in der Natur durch Raum und Zeit Materialien wie z. B. Naturstein, eine Koralle oder ein Stück Vulkangestein. Das sind alles Materialien, die durch ihre Struktur und somit durch ihre Eigenschaften einer menschlichen Persönlichkeit bzw. einem menschlichen Charakter ähneln. Deshalb ist es für mich besonders interessant, damit zu arbeiten. Diese Stoffe sind in der Lage meine Person in eine Skulptur, in eine Aktion, in eine künstlerische Arbeit zu transformieren.
Mich begeistert, wie du neue Materialien für dich entdeckst und durch das Experimentieren neue Formen findest. Wo findest du diese Materialien und was bewegt dich dann dazu mit einem speziellen Material zu arbeiten?
Diese Materialien ziehen mich irgendwie von selbst an. Als ich mir zum Beispiel beim Wellenreiten auf Teneriffa die Nase gebrochen hatte, habe ich am Strand gehockt und angefangen Sand zu sammeln. Dieser Sand war angereichert mit einem ganz speziellen Mineral, durch welches er magnetische Eigenschaften bekommt. Dieses Mineral kommt z. B. auch als natürliche Einlagerung in den Schnäbeln von bestimmten Vogelarten vor und verleiht diesen damit die Eigenschaft, sich zu orientieren. Diesen Sand zu finden hatte auch für mich etwas mit Orientierung zu tun. Aufgrund des Unfalls ging es mir schlecht, ich war orientierungslos. Der Sand war in dem Moment eine Art Wegweiser - daran glaube ich fest.
Generell ist mir im Laufe meines Werdegangs aufgefallen, dass es Berufe gibt, in denen Menschen sich berufen fühlen mit einem bestimmten Material ihr Leben zu verbringen. Das sind Berufe wie der des Schlossers, des Tischlers, des Zimmermanns, des Steinmetzes. Der Schlosser hat einen eigenen, sehr spezifischen Charakter, der Steinmetz ebenfalls. Ich will nicht sagen, dass alle Steinmetze gleich sind, wenn du jedoch einige kennengelernt hast, stellst du fest, dass es gewisse Parallelen gibt. Das ist nicht ohne Grund so - das liegt unter anderem auch am Material. Diese Menschen werden von diesem Material angezogen. Ein Mensch, der mit einem Material arbeitet, weil er es muss, wird das nur eine bestimmte Zeit durchhalten und irgendwann wieder damit aufhören. Er wird im Laufe der Zeit automatisch lieber die Arbeiten ausführen, die ihm mehr Energie verleihen. Die Energie des Materials funktioniert nach der Energie des Menschen oder der Mensch funktioniert nach der Energie des Materials. Das finde ich interessant und das ist ein guter Ansatzpunkt, mich damit zu beschäftigen.
Die Schwerkraft spielt eine große Rolle in deiner Arbeit. Aus großen Höhen lässt du schwere Tonmassen auf die Erde stürzen. Was hat es damit auf sich?
Es ist halt auch die Frage, weshalb ich selbst Kraft aufbringen sollte als Bildhauer, so wie es ein klassischer Bildhauer mit seinem Meißel tut. Muss ich das überhaupt tun oder kann ich einfach die Kraft benutzen, die schon vorhanden ist? Und das ist die Urkraft, die uns alle auf diesem Planeten hält, nämlich die Erdanziehung. Diese Kraft zu nutzen, damit zu arbeiten, ist für mich das natürlichste was es gibt.
Bewegung, Energie, Zeit und Transformation von Material sind elementare Aspekte deiner Arbeit. Du bereitest deine Aktionen akribisch vor, berechnest jedes Detail. Doch am Ende überlässt du das Endergebnis dem Zufall - einer von dir nicht kontrollierbaren „Kraft“. Warum gibst du letztendlich die Kontrolle über dein Kunstwerk aus der Hand?
Dieses Loslassen, die Abgabe der Kontrolle an eine andere Kraft, ist für mich unumgänglich. Das menschliche Tun, mit seinem begrenzten Denken und der geringen Vorstellungskraft, kann nur bis zu einem bestimmten Punkt kommen. Wenn du weiter vordringen möchtest, solltest du die Verantwortung auch abgeben lernen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es sich lohnt, Verantwortung abzugeben. Wir alle müssen diese irgendwann abgeben. Der künstlerische Prozess bedeutet für mich eine Art Vorbereitung auf das Sterben. Das handwerkliche Können, das du dir angeeignet hast, die Vorstellungskraft, das Denken, es ist alles nichts wert, wenn du nicht in der Lage bist, deinen Willen an die „Kraft“ abzugeben - die pure Kraft, die in uns ist und wodurch die Natur sich durch uns zeigt. Das zu schaffen, und das auch gezielt zu tun, ist Teil meines Arbeitsprozesses. Dieser Prozess ist mit einer Art Rausch verbunden. Wenn du dich in diese Kraft hineinbegibst, hörst du in dem Moment auf zu existieren. Dadurch entkoppelt sich das eigene Sein ebenfalls von allen Ängsten. Du bist nur noch pure Energie und machst dir um nichts mehr Sorgen. Diese Kraft durchdringt dich und wenn Sie zur Wirkung kommt, dann passieren Dinge, die du dir vorher niemals hättest ausdenken können.
Deine neuen Arbeiten stehen im Kontrast zu den alten. Sie sind leicht und trotzen der Schwerkraft. Warum auf einmal diese Wendung?
Einer der Prozesse, mit denen ich mich oft beschäftige, hat mit Gravitation zu tun. Vor kurzem habe ich angefangen, mit Gas zu arbeiten, das sich entgegen der Schwerkraft bewegt. Das ist anfänglich eine große Herausforderung gewesen, weil viele Leute fragten: „Was machst du denn jetzt? Hast du nicht Angst, dass dich dann keiner mehr ernst nimmt, wenn du das machst?“ Aber mich genau in diese Situation der Angst hineinzubegeben, ist für mich interessant. Als ich meine Angst überwunden hatte, wurde mir letztendlich klar, dass ich vorher nichts anderes getan hatte. Über diesen Umweg trotzdem „Zuhause“ anzukommen ist das magische dabei.
Was war bisher dein größtes Highlight als Künstler?
Das war die Performance „Trumpets of Jericho“, die ich zur Eröffnung des Stromfestivals am Kunsthaus Rhenania inszenierte. Es war das erste Mal, dass ich das prozesshafte Arbeiten in der Öffentlichkeit aufgeführt habe. Nach vielen Ausstellungen falle ich erst mal in ein Loch. Als ich jedoch nach „Trumpets of Jericho“ Zuhause ankam, sah ich meine Aktion und glückliche Gesichter im Fernsehen beim WDR. Das war für mich völlig neu. Die aufschlagende Tonröhre wurde in Zeitlupe in vielen Medien gezeigt. Das war für mich schon ein sehr großer Erfolg. Noch Monate danach wurde ich auf die Aktion angesprochen.
Gab es in deiner Arbeit einen krassen Rückschlag, der dich besonders geprägt hat?
Manchmal kommt mir alles vor wie ein riesiger Rückschlag. (lacht) Aber ein schlimmer war der Tod meines ersten Galeristen Dominik Mühlhaupt, der hier in Mülheim eine kleine Galerie hatte. Dominik war kein klassischer Galerist, sondern jemand, der gegen den Strom schwamm. Er wollte uns Künstlern eine Chance geben mit ihm zusammenzuarbeiten. Vom Aussehen hat er mich an meinen Vater erinnert, was für mich total wichtig war. Aber dann war er wie auch mein Vater, auf einmal tot. Nachdem er seine Wohnungstür einige Zeit nicht geöffnet hatte und sonst nicht aufzufinden war, brachen der Hausmeister zusammen mit einem anderen befreundeten Künstler seine Tür auf. Man konnte ihm nicht mehr helfen. Ich war Zuhause, als der Anruf kam, dass Dominik gestorben ist. Da hatte ich das Gefühl, dass es nicht mehr weitergeht und alles keinen Sinn mehr hat. Ich dachte dann darüber nach, ganz mit Kunst aufzuhören und nur noch als wissenschaftlicher Illustrator zu arbeiten (Wissenschaftliche Illustration hatte ich aus Interesse und als Brotberuf auf der medizinischen Fakultät in Maastricht studiert). Drei oder vier Monate habe ich das durchgehalten und hatte sogar mein Atelier untervermietet. Schnell merkte ich jedoch, dass ich auf keinen Fall Illustrator sein kann und kam zurück. Seitdem habe ich nie wieder einen Gedanken daran verschwendet, etwas anderes zu tun.
Jeder Kreative durchlebt Phasen, in denen nichts zu gelingen scheint. Wie gehst du damit um?
"Der Künstler fühlt sich stets gekränkt, wenn's anders kommt, als wie er denkt.“, sagte Wilhelm Busch. In solchen Situationen ist es die beste Methode, erst einmal loszulassen, sich zu entspannen und mit Menschen zu reden, die einem Nahe stehen. Dann wird ein Plan B entwickelt. Oft spreche ich dann mit meinem Ziehvater. Er ist Steinmetz und hat mich großgezogen, nachdem mein Vater früh starb. Er ist der erste Anlaufpunkt, wenn ich Probleme habe. Er beruhigt mich, redet mit mir, überlegt was zu tun ist. Ich ziehe mich also in die Werkstatt eines Steinmetzes zurück.
Jan Glisman - "Maria ihm schmeckts nicht". (© Daniel Zakharov)
Gibt es Künstler, die dich besonders inspiriert haben oder die du einfach besonders schätzt?
Ein wichtiger Künstler in meinem Leben ist mein Studienfreund John Franzen. Was er macht, wie er lebt und ist, sein progressives Denken, haben mich in meinem Tun sehr geprägt. Er hat besondere Fähigkeiten, Dinge und auch Menschen zu beeinflussen. Damals unter anderem auch unsere Professoren, die durch seine Argumentation in einer Diskussion schnell überfordert waren. Oft fragte ich mich dann, ob die Rollenverteilung hier wirklich gerechtfertigt ist. Diesem Menschen bin ich sehr verbunden, auch wenn ich ihn mittlerweile selten sehe. Aber sein Gedankengut schlummert in mir und manchmal beginnt es auch wieder zu lodern. Mit ihm unterwegs zu sein und zu beobachten, wie er mit den Leuten spricht, wie er agiert, wie er sich selbst und seine künstlerische Position vertritt, ausarbeitet und immer weiterentwickelt, ist sehr inspirierend. Ich lerne immer unfassbar viel von ihm, wenn wir Zeit zusammen verbringen.
Vor allem bei Künstlern gibt es einen großen Hype um Berlin. Wie kommt es, dass du in Köln geblieben bist?
Ich arbeite hier, meine Familie ist hier, der Rhein ist hier. Da ich Bildhauer bin, muss ich mir zweimal überlegen, ob ich meinen Standort verändern will. Mit der Bildhauerei habe ich mir einen Klotz ans Bein gebunden. Skulpturen lassen sich schwierig verkaufen und Installationen zu entwickeln ist oft aufwendig. Deswegen ist es für mich naheliegend, eine zentrale Location zu haben, der ich treu bleibe und wohin ich immer wieder zurückkehre.
"Das menschliche Tun, mit seinem begrenzten Denken und der geringen Vorstellungskraft, kann nur bis zu einem bestimmten Punkt kommen."
Was schätzt du an Köln?
Erstmal die Größe - es ist eine Großstadt, die aber trotzdem sehr übersichtlich ist und viel Natur hat. Natürlich auch unseren wunderschönen Rhein. Vor allem aber auch die Offenheit der Menschen. Mit der Mentalität der Kölner kann ich mich sehr gut identifizieren. Dass es eine Medienstadt ist, finde ich auch sehr interessant. Ich fühl mich hier einfach Zuhause.
Köln war eine Zeit lang eine der bedeutendsten Kunststädte Europas. Wie empfindest du die Situation diesbezüglich heute?
Ich bin da nicht ganz zufrieden mit. Ich betrachte Köln in dieser Hinsicht aber auch nicht isoliert, sondern im Zusammenhang mit dem Dreiländereck oder auch mit Münster, Düsseldorf und Frankfurt - Städte, die man schnell erreicht und in denen viel passiert. Deswegen lasse ich mich da nicht beirren, wenn hier nicht ganz so viel los ist wie in Berlin.
Die Stadt hat 86 Stadtteile. Welches Veedel würdest du hervorheben?
Ehrenfeld, wo ich wohne, finde ich ganz toll. Es wird zwar mittlerweile sehr gehypt, aber es ist für mich das Größte im Sommer die Venloerstraße mit dem Fahrrad rauf und runter zu fahren.
Du bist in Köln geboren und aufgewachsen. In welchem Veedel bist du groß geworden? Gibt es eine besondere Erinnerung, die du mit dem Veedel verbindest und teilen kannst?
Mein Familienhaus steht im Kölner Stadtteil Weiden. Dort bin ich zusammen mit meiner Schwester aufgewachsen. Wir sind dort auf die Clarenhofschule gegangen. Hier wurde auf dem Schulhof der Lövenicher Karnevalszug vorbereitet. Während wir also in der Pause auf dem Schulhof spielten, bauten die Eltern dort den Karnevalswagen. Wenn der fertig war und die Veedelszüge anstanden, sind wir auf dem Wagen mitgefahren. Manchmal hockten wir aber auch zusammen mit dem Bierfass auf dem Bollerwagen meiner Eltern. Die haben gemütlich Kölsch getrunken und wir Kinder haben Kamelle gefuttert.
Gibt es einen speziellen Ort in Köln, den du besonders magst?
Der Rhein ist für mich das Wichtigste. Ich bin sehr gern am Rhein, vor allem auf den Poller Wiesen, dem Hafengebiet in Mülheim, dem Bootshaus. Früher war das alles viel ursprünglicher, denn mittlerweile werden die ganzen schönen alten Hafengebiete zu versnobten Vierteln ausgebaut, so wie das im Rheinauhafen passiert ist. Das ist sehr schade. Aber an der Brücke „Katzenbuckel“ und auf der Landzunge in Mülheim fühl ich mich immer noch sehr wohl.
Eine besondere Lokalität in Köln ist…
Schwere Frage. Das Odonien ist eine Lokalität, die ich früher sehr empfehlen konnte. Da habe ich schon Nächte verbracht, wo ich mir gedacht habe: „Das kann nicht Köln sein, das ist zu abgefahren für Köln“. Das war früher eine richtige Subkultur dort - die brennenden Mülltonnen, die Roboter, der Puff gegenüber, die Zuhälter, die davor rumliefen… Das war immer ein spannender Ausflug.
Was ist für dich typisch kölsch / Köln?
Karneval auf jeden Fall. Karneval finde ich schon toll, aber ich feiere das nicht mehr klassisch. Eine Zeitlang bin ich an Karneval Techno feiern gegangen. Diese Kombination fand ich sehr interessant. Alle sind verkleidet in die Technoclubs gegangen. An Rosenmontag gibt es sogar einen Technoumzug, der „Pornobalken und Elfenohren“ heißt und von der Universität über den Grüngürtel zum Odonien zieht. Mittlerweile bin ich da aber auch raus gewachsen. Heute finde ich es toll, in Ehrenfeld am Veedelszug rumzustehen, am besten bei herrlichem Sonnenschein und wenn es richtig kalt ist. Und dann halbverkleidet mit Leuten abzuhängen, die eigentlich gar keinen Bock auf Karneval haben. Keinen Bock haben, aber trotzdem mitmachen, ist für mich auch typisch kölsch.
Was gefällt dir nicht an Köln und was würdest du ändern, wenn du die Möglichkeit dazu hättest?
Wir haben keine Kunstakademie. Das ist ein Problem. Wir haben zwar die KHM, jedoch ist dies eine Medienhochschule. Einen Gegenpol zu Düsseldorf zu schaffen, fände ich wichtig. Außerdem würde ich der Bürgermeisterin dringend raten, der freien Kunstszene ein Fundament zu geben. Aktuell gibt es die Krise am Ebertplatz, wo sich die ganzen Offräume befinden, wie das „Gold und Beton“, das „Bruch und Dallas“, die „Tiefgarage“. Wenn es diese Kunsträume nicht mehr gibt, dann wird ein großer Teil der Kunstszene in Köln keinen Platz mehr haben. Wir haben zwar Orte wie die Simultanhalle und die Fuhrwerkswaage, aber neben den Museen gibt es eben keine Kunsthalle. Sowas brauchen wir auf jeden Fall ganz dringend, wenn wir schon keine Kunstakademie und keine festen Anlaufstellen für die freie Kunstszene haben.
Ich bin Fotograf. In der heutigen Zeit sind Fotos allgegenwärtig. Was bedeutet das Medium Fotografie für dich persönlich und wie verwendest du sie?
In der Fotografie arbeitet man mit dem Licht von eben. Es ist das Arbeiten mit der Vergänglichkeit. Deswegen finde ich Fotografie interessant - sie hält uns den Spiegel vor und erinnert uns daran, dass wir alle endlich sind. Dies ist für mich das Grundlegende an Fotografie. Selbst benutze ich Fotografie als Mittel zum Zweck. Sie ist für mich wichtig, weil ich Dokumentieren kann. Ich erschaffe Dokumente aus der Vergangenheit für die Zukunft, um meine Arbeit besser reflektieren zu können.
Gibt es ein Lebensmotto, nach dem du dich richtest?
Dinge einfach auseinander zu schrauben und wieder anders zusammenzusetzen, also zu transformieren und von mehreren Seiten zu betrachten. Dadurch vielleicht auch aus dem Furchtbaren, aus dem Schlechten etwas Gutes zu machen. Diese Transformation zu vollziehen und den Mut dazu zu haben, ist glaube ich auch die Grundaufgabe des Menschen
Links:
1. Mehr zu Jan Glisman gibt es auf seiner Webseite www.atelier-glisman.com
© 2023. Daniel Zakharov
Impressum / Datenschutzerklärung